Das behutsame Beschreiben der Arten

Kammermusik von Benjamin Schweitzer auf einer wergo-Porträt-CD

Beim renommierten Label Wergo, das sich der Musik der Gegenwart widmet, ist im Herbst 2012 eine neue Porträt-CD erschienen, diesmal kann man Werke des Komponisten Benjamin Schweitzer (*1973) entdecken. "courage" - das Dresdner Ensemble für zeitgenössische Musik interpretiert darauf insgesamt sechs Ensemble- und Kammermusikwerke, die zwischen 2005 und 2008 entstanden sind. Schweitzer ist dem Ensemble, das er selbst 1997 während seiner Studienzeit in Dresden gegründet hat, sehr verbunden - zahlreiche Werke entstanden direkt für das Ensemble oder deren Solisten. Insofern muss man von einer glücklichen und auch kompetenten Verknüpfung sprechen, denn die Sprache des Komponisten ist den Musikern höchst vertraut, dies strahlen die Interpretationen unter dem Dirigat von Titus Engel bereits beim ersten Anhören aus. In Kenntnis von Benjamin Schweitzers Werkkatalog erscheint interessant, dass brennpunktartig aus einer bestimmten Schaffensphase heraus Werke ausgewählt wurden, die - so verrät der von Stefan Drees geschriebene Programmhefttext - einen Wendepunkt markieren, der sich einer Suche nach neuen Ausdrucksformen verdankt. Wer mit zeitgenössischer Musik nicht vertraut ist, mag Schwierigkeiten mit der wissenschaftlich fundierten Betrachtung der Stücke im Booklet (Text: Stefan Drees) haben, doch das Hörerlebnis zeichnet genau die "Erfahrungsräume" nach, die Schweitzer in seinen Kompositionen (er)findet. Dass dies gut gelingen kann, dafür sorgt die extreme Konzentration, die Schweitzer den Stücken angedeiht. Auf diese Herangehensweise muss man sich auch beim Hören einlassen, denn im Vorbeigehen lassen sich die Stücke keinesfalls erschließen. Überflüssige Noten, Überraschungen und schroffe Gegensätze finden sich selten, stattdessen erhält jedes Stück seinen eigenen Klangraum, dessen Regularien eng oder weit gefasst werden können: im Abtasten der Möglichkeiten, im Ausreizen der selbst verordneten Grenzen entsteht die Spannung dieser Musik.

Verschmerzbar ist das Fehlen des Textes zu den die CD umrahmenden "Dafne-Fragmenten" mit Sopran (Olivia Stahn), wenn man die instrumentale Einbettung der Vokalstimme verstanden hat - die ganz eigene Qualität des Abgesangs, des Abschiedes steht hier ohnehin im Vordergrund. Faszinierend ist auch, wie sich in "achteinhalb" für Ensemble ohne Schlagzeug ein recht rauher Ensembleklang nach und nach immer mehr erweitert und zu stets ausdrucksstarken Linien und Entwicklungen auffächert. "Anfänge/Netze" lädt den Zuhörer zu einer Standortbestimmung ein und vermeidet Verbindlichkeit, während "dull roots & spring rain" versucht unter maximaler Reduktion eine einzige, in sich aber variantenreiche Klangebene zu entfalten. Was hier in verschiedenen Instrumentalbesetzungen (spannend auch das Quartett "entschlackt" in der ungewöhnlichen Anordnung von Oboe, Trompete, Cello und Klavier) in großer Vielfalt der Instrumentalfarben gezeigt wird, erinnert fast an biologische Vorgänge: Schweitzer ist ein Schmetterlingsforscher unter den Komponisten, der das behutsame Beschreiben der Arten beherrscht und am Ende in den Erfahrungsräumen nach "Schönheit" sucht, die sich eben nicht in der bequemen Konvention niederschlagen muss, sondern in fein ausgehörtem Ensembleklang, im Zusammenspiel von Ursache und Wirkung. Eine CD mit spannender, auch in einem sehr durchhörbaren Klangbild aufgenommenen Kammermusik, deren konzentriertes Hören - ein Kopfhörer erscheint für die Erkennung vieler Zwischentöne sinnvoll - in jedem Fall den musikalischen Horizont erweitert.

Alexander Keuk
Erschienen in den DNN vom 7.2.2013